Was Klimaschutz und Internet-Challenges verbindet

20 January 2021 by Dirk Ritschel

Wer andere begeistern will, muss selbst begeistert sein. Wer Frank Liebner erlebt – ob im Klassenzimmer oder in Lehrerfortbildungen – der spürt sofort: er brennt für sein Fach, die Chemie. Nicht der Showeffekt eines Experimentes steht bei ihm im Vordergrund. Ihm geht es darum, Schüler anzuleiten, selbst naturwissenschaftliche Phänomene zu reproduzieren und zu analysieren, um sie letztlich besser zu verstehen. Und das setzt voraus, mehr Lehrerinnen und Lehrer zu ermutigen, häufiger Teile des Unterrichts in die Hand der Schüler zu legen und sie selbst entdecken zu lassen.

Aufwand und Nutzen von Schülerexperimenten
Frank Liebner unterrichtet neben Mathematik hauptsächlich Chemie am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Löbau. Daneben unterstützt er in seiner Funktion als Fachberater Chemie für Gymnasien in Ostsachsen Kolleginnen und Kollegen. Hierbei wirbt er auch für den Einsatz von Schülerexperimenten. Noch scheuen Kolleginnen und Kollegen den vermeintlichen Mehraufwand beim Einsatz digitaler Werkzeuge. Stehen Umfang und Qualität des durch Schülerexperimente gewonnen Wissens in guter Relation zum Aufwand? Für Frank Liebner ist die Antwort eindeutig: ja, sofern das Experiment entsprechend strukturiert und die Zielvorgabe für die Lernenden klar und deutlich formuliert ist. Gleichzeitig versteht er seine zögernden Kollegen und bietet Hilfe. Seit mehr als 20 Jahren engagiert er sich im Lehrerfortbildungsnetzwerk T3 . Er leitet die Arbeitsgruppe Chemie und er koordiniert die T3-Arbeit in Sachsen. T3 entwickelt und erprobt lehrplanrelevante Experimente und entwickelt unterrichtsfertiges Material.
Welche Menge Natriumhydroxidlösung bei einer Titration der Essigsäure zuzuführen ist, um überzeugende Ergebnisse zu erhalten, muss nicht jeder Lehrer für sich neu entdecken. T3 bietet die Praxiserfahrung, die Lehrerinnen und Lehrern hilft, die Vorbereitungszeit der Schülerexperimente zu minimieren: sei es in Form von Material oder von Lehrerfortbildungen.

Wissenschaftliche Erforschung von Unterrichtskonzepten
Die eigene Begeisterung für den Wert von Schülerexperimenten in allen Ehren, aber Naturwissenschaften arbeiten zuerst nach empirischen Verfahren. Seit mehreren Jahren kooperiert Frank Liebner mit dem Institut für Didaktik der Chemie an der Universität Leipzig.

Gemeinsam mit Professor Rebekka Heimann wurden Studien durchgeführt, an denen sich Projektklassen aus fast allen Bundesländern beteiligten. In einer der Untersuchungen ging es um die mӧgliche Überwindung von aus der Literatur bekannten Fehlvorstellungen von Schülerinnen und Schülern zum Ionenbegriff. Die Schüler sollten selbstständig den Aufbau von Salzen aus Ionen und die Ursachen der elektrischen Leitfähigkeit wässriger Lösungen in Schülerexperimenten unter Nutzung des TI-Nspire TM CX und von Temperatur- und Leitfähigkeitssonden erarbeiten. Die Studie bestätigte, dass der Einsatz von digitalen Werkzeugen ein mögliches und unterstützendes Hilfsmittel im Erkenntnisprozess ist.

Das Potential von Schülerexperimenten für die Erkenntnisgewinnungskompetenz steht mittlerweile außer Frage. Sie sind fester Bestandteil der am 18. Juni 2020 von der KMK verabschiedeten Bildungsstandards für Chemie und die anderen naturwissenschaftlichen Fächer.

Experimentieren ist Handwerk
Frank Liebners Schüler haben es mittlerweile verinnerlicht: Experimentieren in Chemie ist keinesfalls der Showteil, der Unterricht nur auflockert. Experimentieren ist harte Arbeit und ihr Lehrer achtet auf Kleinigkeiten. Das beginnt damit, dass während des Experimentierens im Labor gestanden wird und nicht gesessen. Des besseren Überblicks wegen und auch aus Gründen des Arbeitsschutzes. Liebner legt Wert auf Details, beispielsweise dass das Reagenzglas richtig gehalten wird und dass die tropfenweise Zugabe einer Chemikalie in die Mitte erfolgt und nicht an die Wand des Reagenzglases. „Experimentieren ist Handwerk und es hat viel mit Motorik zu tun. Hier werden kognitive wie auch händische Fähigkeiten ausgebildet. Das ist das, was mein Fach von den meisten anderen unterscheidet“.

Erderwärmung und Erfrierungssymptome
Was Schüler während des Unterrichts treiben, ist gemeinhin bekannt. Aber was treibt sie außerhalb der Schule um? Klimaschutz zum Beispiel. Die einen sehen ihn als vordringliches Ziel, andere streiten dies ab und freuen sich, dass die Sommer bei uns in Zukunft wärmer werden sollen. Man kann´s halt so oder so sehen. Frank Liebners Antwort darauf: Nein, das kann man nicht.

Wer sich mit dem Thema beschäftigt, muss mit Fakten argumentieren können. „Klimaveränderungen zu verstehen, heißt, komplex zu denken und Zusammenhänge herstellen zu können“, so Frank Liebner und fand damit die Überschrift für ein neues Projekt. Am Beispiel von Kohlenstoffdioxid wird die Vielfalt der zu betrachtenden Prozesse aufgezeigt. Die Schüler sollen einen Einblick in die Notwendigkeit des komplexen Betrachtens verschiedener Faktoren erhalten. Mit dem TI-Nspire™ CX II-T CAS und verschiedenen Sensoren, beispielsweise zum Messen des CO2-Gehalts, untersuchen die Schüler die Löslichkeit von Kohlenstoffdioxid in Abhängigkeit von der Temperatur, dem Salzgehalt und der Bewegung des Wassers. „Das Angebot wurde super angenommen“, freut sich Frank Liebner. „Auch in den Sommerferien hatten wir gut besuchte Workshops bei uns an der Schule. Sogar die Zeitung hat darüber berichtet.“

Die meisten Freizeitaktivitäten der Schüler fliegen unter dem Radar der Lehrerinnen und Lehrer. Und doch wäre es gut, über manche etwas besser Bescheid zu wissen. Gemeint sind die sogenannten Internet-Challenges. Personen filmen sich dabei, mӧglichst risikobehafteten Handlungen nachzugehen. Sich einen Kübel Eiswasser über den Kopf zu schütten, mag unangenehm sein, gefährlich ist es eigentlich nicht. Anders bei der Deo-Challenge: ein beliebiger Deo-Spray wird aus kurzer Entfernung auf die Haut gesprüht. Was daran gefährlich sein soll? Hierbei werden Hautreizungen bewusst herbeigeführt, indem der Haut Wärme entzogen wird. Etwas drastischer: in etwa 15 Sekunden erfolgt ein Temperaturabfall auf bis zu minus 20°C. Die Folge: schwerste Erfrierungen. Mit dem TI-Nspire™ CX II-T CAS und einem Temperatursensor kann der Effekt leicht illustriert und erklärt werden. Die Idee hierzu kam Frank Liebner nach einem Vortrag von Julia Werthmüller. Die ausgebildete Chemielehrerin promoviert gerade zum Thema der Internet-Challenges und den zugrundeliegenden naturwissenschaftlichen Phänomenen an der Technischen Universität Darmstadt. Beide haben einen Workshop entwickelt und vergangenen Dezember auf der Schulleitertagung der MINT-EC-Schulen mit großem Erfolg durchgeführt. Frank Liebner sieht sich bestätigt: „Wer selbst unter Einsatz von Sensoren das Zusammenspiel verschiedener Faktoren untersucht und Regelmäßigkeiten selbst reproduziert, der gewinnt ein tieferes Verständnis für naturwissenschaftliche Phänomene und der argumentiert auch fundierter.“

Material zum Download „Klimaveränderungen zu verstehen, heißt, komplex zu denken und Zusammenhänge herstellen zu können